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Gartenpflege im Atelier Manus

22.12.2021

Das Atelier Manus ist eine private Stiftung zur Förderung der beruflichen und sozialen Integration von Menschen mit Behinderung in Brig-Glis. Es freut uns ausserordentlich die Stiftung zu unseren geschätzten Partnern zählen zu dürfen und die Arbeit und das Engagement der Mitarbeitenden zu unterstützen. Nicole Jäger, eine Mitarbeiterin im Atelier, hat mit der Unterstützung von Rinaldo Weissen einen Erfahrungsbericht aus ihrem Alltag in der Gartenpflege geschrieben. Lies weiter und erfahre, was sie erlebt hat und wie wichtig es ist, diese Arbeit zu fördern.

Mein Name ist Nicole Jäger, ich bin 29 Jahre alt und seit bald 7 Jahren im Gartenteam des Atelier Manus tätig. Im Alter von 3 Jahren habe ich mir das Lesen beigebracht und wurde so schon früh mit meiner Andersartigkeit konfrontiert. Dazu kommt, dass ich hochsensitiv bin und daher sehr Vieles in meiner Umgebung wahrnehme. Aufgrund negativer Erfahrungen während der Kindheit kam es dann im Verlauf meines Lebens zu einer Persönlichkeitsstörung, sowie auch zu einer depressiven Störung. Die Gartenabteilung des Atelier Manus hat mich in den letzten Jahren auf meinem Weg begleitet, sodass ich nun die Stabilität für eine Ausbildung gefunden habe. Für diese Zeit bin ich allen Beteiligten sehr dankbar und habe erfahren dürfen, wie wertvoll diese Unterstützung ist, wie wertvoll es ist, als Mensch gesehen und geschätzt zu werden. Nicht alle Menschen können unserem Gesellschaftssystem gerecht werden, aber jeder Mensch besitzt Fähigkeiten und manchmal reicht es schon aus, dem Menschen einen individuellen Rahmen zu geben, damit sich diese Fähigkeiten zeigen. Vieles ist in dieser Zeit im Atelier Manus passiert, so auch im letzten Jahr.

Wie jedes Jahr haben uns Mitarbeiter verlassen, doch auch neue Gesichter haben sich zu uns gesellt. Diese Veränderungen sind manchmal schwer, doch wir sind ein sehr offenes Team und stets für einander da. Wenn man sich gegenseitig in dieser Tiefe des Geistes kennenlernt, können Bindungen sehr stark werden, man schliesst sich ins Herz. Und doch ist es gut und wichtig, dass Menschen von hier aus weitere Schritte gehen können und wir dürfen froh sein, für jeden, der diesen Weg ins Auge fasst und den Mut hat, ihn zu betreten. Der frische Wind, der uns mit jedem neuen Gesicht begrüsst, ist jedoch ebenfalls immer wieder eine Bereicherung. Wir bieten uns gegenseitig ein stützendes und verständnisvolles Umfeld, worin jeder von uns sein innewohnendes Potenzial entfalten darf. Es ist manchmal sehr erstaunlich, welche Fähigkeiten sich hinter den Leuten verstecken und wie viel wir alle voneinander lernen können. Ja, auch unsere Macken finden darin Platz, welche meiner Meinung nach in einem Rahmen wie diesem auch ihren Platz brauchen. Sich selbst zu akzeptieren und einen Raum zu finden, wo man auch so akzeptiert wird, ist eines der besten Heilmittel. Und dieses wirkt in unserer Abteilung sehr stark.

In den Jahren, die ich hier verbracht habe, hat sich unser Teamgeist stetig verändert und weiterentwickelt. Mit jeder Seele, die zu uns kommt oder uns verlässt, ändert sich der kollektive Geist. Die Offenheit und Geborgenheit bleiben dabei aber stets erhalten. Was immer mal wieder ändert, ist das Temperament unserer Gemüter. Im Gartenteam finden wir viele feinfühlige Seelen, die sich nach Ruhe und Harmonie sehnen, nach der Sinnlichkeit und Reinheit der Natur. Doch die Arbeit draussen zieht genauso auch temperamentvolle, aktive Seelen an. Leute, die gerne mit Maschinen arbeiten und etwas körperlich Forderndes brauchen, um überschüssige Energie loszuwerden. In einer Institution wie unserer ist es wichtig, sich an die verschiedenen Bedürfnisse der Mitarbeitenden anpassen zu können. Es gibt Leute, denen man manchmal etwas Dampf unterm Hintern machen muss, und andererseits gibt es wieder Wesensarten, die genau diesen Druck nicht ertragen und sich dadurch blockiert fühlen. Genau deshalb sind unsere Teamleiter sehr wichtig. Ein starkes Trio, in dem jeder wichtige Eigenschaften mit sich bringt. So entsteht
auch zwischen den Leitern und den Mitarbeitern eine starke Zusammenarbeit, um auf Herausforderungen eingehen zu können.

In diesen verschiedenen Aspekten ergeben sich spannende und lehrreiche Dynamiken, ja manchmal auch fordernde, doch genau diese bewirken ein stetiges Wachstum für alle Beteiligten. Am Ende des Jahres hat uns die Nachricht erreicht, dass einer der Gruppenleiter uns verlässt und selbst eine Gruppe in einer anderen Institution leiten wird. Das hat viele von uns getroffen, Tränen sind geflossen, aber jeder von uns wünscht ihm auf diesem Weg alles Gute und viel Erfolg. Allerdings ist es gar nicht so einfach, jemanden zu finden, der diese Lücke füllt. Jemand, der über die gewünschten Fachkenntnisse im Garten und zugleich über die sozialen Kompetenzen verfügt. Doch auch dieser Aufgabe sieht unser Chef zuversichtlich entgegen.

Wie erwähnt, bin ich dem Atelier Manus sehr dankbar für diese Zeit hier. Doch was passiert eigentlich in dieser Zeit? Weshalb kommen Menschen zu uns? Und wie kommt man wieder weg?

Jedem Menschen, der sich ins Atelier Manus begibt, steht ein Weg der Heilung bevor. Dies kann auf körperlicher oder auf geistiger Ebene sein, manchmal auch auf beiden Ebenen. Die Vielfalt der Dinge, die uns Menschen im Leben treffen können, kann erschreckend sein und zugleich erinnert uns diese Tatsache an den Wert des Lebens und der Gesundheit. Doch egal, um welche Situation es auch gehen mag, der Prozess der Heilung beginnt mit der Annahme und der Akzeptanz und das ist wohl einer der schwierigsten Schritte des ganzen Prozesses. Ich selbst kann mich erinnern, wie ich auf dem Therapiestuhl sass und die Therapie boykottierte. Leider sind im Bereich Psychologie viele falsche Vorstellungen im Umlauf, wodurch viele Patienten sich den Therapieangeboten gegenüber verschliessen. Missverständnisse wie das Bild des Psychiaters, der einem sagt, wie man zu leben hat. Vielleicht hat er Ratschläge, doch ob man diese annehmen möchte, darf man immer noch selbst entscheiden. Und ehrlich gesagt, wenn ein Arzt diesen freien Willen nicht respektieren würde, wäre er kein guter Arzt, denn wie könnte er dem Patienten helfen sich selbst zu akzeptieren, wenn nicht mal er seinen Patienten akzeptiert? Der erste Schritt ist der Schwierigste, doch wenn man mal erkannt hat, dass man völlig in Ordnung ist, wie man ist, oder im körperlichen Bereich akzeptiert, dass es nun ist, wie es ist, kann es nur noch besser werden. Selbstakzeptanz setzt ungeahnte Kräfte frei und den Willen, trotz widriger Umstände einen Weg zu finden, um in dieser Welt existieren zu können und das Beste aus diesem einen Leben zu machen. In meinem persönlichen Fall haben wir über die Jahre erkannt, dass ich bei einem Pensum von 60% auf Dauer stabil bleiben kann. Bei diesem Pensum ist es schwierig, eine passende Ausbildung zu finden. Und trotzdem habe ich nicht aufgegeben und die Suche hat sich gelohnt. Hätte mir vor 10 Jahren jemand gesagt, dass ich selbst einmal eine Ausbildung im sozialen Bereich absolviere, hätte ich mir das wohl nicht zugetraut. Durch meine starke Empathie ist Abgrenzung ein grosses Thema und noch vor ein paar Jahren habe ich grosse Menschengruppen gemieden. Auch heute stürme ich nicht mitten rein, doch ich weiss inzwischen, wie ich mit den Anomalien meines Organismus umgehen muss, um damit klarzukommen. Und so hat sich meine grösste Schwäche der Abgrenzung in eine grosse Stärke der Empathie entwickelt. Die Zeit und der Raum hier im Atelier Manus haben diese Entwicklung ermöglicht und ich schaue nun voller Zuversicht, Lebensfreude und Neugier in die Zukunft. DANKE.

In diesem Sinne möchte ich allen hier sagen: Wagt es, traut euch in die Welt! Eure Individualität macht euch nicht zu Aussenseitern, sie macht euch zu dem was ihr seid – zu Menschen.

In Liebe - Nicole

www.atelier-manus.ch

www.cervo.swiss
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